Zwei linke Hände und die verrostete, stumpfe Säge: K.I. im Unterricht? K.I. als Unterrichtsfach!

K.I., ChatGPT, A.I.Buddy etc. im Schulunterricht? Teufelszeug, dachte ich immer, und denke es eigentlich meist auch jetzt noch. Zwei jüngste Erfahrungen mit Hörspiel-Workshops in 7. Klassen haben mich aber zumindest nochmal weiter und länger darüber nachdenken lassen (Natürliche Intelligenz, sozusagen, hopefully).

Aus der Praxis 1

In dem einen Fall war die Nutzung von ChatGPT eher eine Notlösung, nachdem die Schüler:innen in der dafür vorgesehenen Sitzung kein eigenes Skript hinbekommen hatten – die Latte lag aus verschiedenen Gründen und in verschiedener Hinsicht zu hoch. Wir sind dann dazu übergegangen, nach einer kurzen Einweisung ChatGPT mit vorbereiteten „Eckdaten“ (Karteikarten mit Personen, Situationen, Orten) und weiteren Stichworten (Hörspiel, Wörteranzahl, Geräuschen etc.) zu prompten. Und siehe da – es entstanden brauchbare Hörspiel-Skripts, mit Dialogen, Erzähler:innen, Regieanweisungen, Geräusch- und Musikeinsätzen und allem drum und dran. Dachten zumindest die Schüler:innen, die sich der lästigen Schreib-Arbeit entledigt sahen und also glücklich waren, jetzt endlich ihr Hörspiel aufnehmen zu können.

Und dachte ich. Als ich dann aber nach und nach zum Reinhorchen und für Nachfragen durch die verschiedenen Gruppen ging, ist mir aufgefallen, wie krude, unrund, sprachlich und dramaturgisch schlecht und unspannend so gut wie alle von der K.I. generierten Skripts waren – meint hier also vor allem: unpassend, unindividuell und ganz und gar an den Kids vorbeigezielt und -getroffen. Definitiv eher künstlich als intelligent. Und kunstvoll schon mal gar nicht! Die meisten Schüler:innen hatten selber leider gar keine Erfahrungen und also auch keinerlei Werkzeuge, die Ergebnisse unter die Lupe zu nehmen und haben angefangen, das ausgespuckte (!) Skript einszueins umzusetzen.

Nur vereinzelt konnten wir – die über die Maßen engagierte Lehrer:in und ich – die eine oder andere Gruppe dazu bekommen, doch noch einmal über diesen oder jenen Satz, diese oder jene Situation oder Entwicklung in ihrer Story nachzudenken und gemeinsam mit den Schüler:innen anzupassen.

Aus der Praxis 2

In dem anderen Fall war die Nutzung von ChatGPT Teil des Konzepts: die Schüler:innen hatten im Rahmen ihres Deutsch-Unterrichts schon in Kleingruppen Krimi-Geschichten fertig verfasst und sollten sie jetzt von der K.I. in Hörspielskripts umwandeln lassen. Und siehe da – auch hier entstanden Hörspiel-Skripts, mit Dialogen, Erzähler:in, Regieanweisungen, Geräusch- und Musikeinsätzen und allem drum und dran. 

Dachte ich auch hier. Aber auch in diesem Fall waren die Ergebnisse erstmal wenig zufriedenstellend, durchweg fanden die Schüler:innen selber die entstandenen Skripts viel schlechter als ihre eigenen Prosa-Krimi-Geschichten. Verschlimmbesserung und Frustration allerorten.

Da die Arbeitsschritte des durchdachten Promptings und der ausführlichen Text-Redaktion zwar irgendwie angedacht aber nicht wirklich geplant und damit den Schüler:innen im Vorfeld nicht wirklich vermittelt worden waren, waren einige von ihnen in dieser Phase genervt und unwillens angesichts der neu aufgetauchten Herausforderung, ihr Skript zu optimieren. Einige nahmen sie an, andere nicht.

K.I. als Unterrichtsfach

In der Nutzung von K.I. in so einem Fall liegen meiner Meinung nach sehr viele Learning-Chancen. Unter anderem könnten dies sein:

  • Die Einsicht in die generelle Notwendigkeit der Überprüfung und Infragestellung der von der K.I. ausgegebenen Ergebnisse.
  • Die konkretere Möglichkeit einer ausführlichen Textredaktion an sich – in Hinsicht auf Logik, Dramaturgie, Schreiben fürs Hören, (notwendige) Redundanz, Spannung, Unterhaltsamkeit etc. Unabhängig davon, ob es eigene, fremde, künstlich generierte oder sonst welche Texte (oder andere Inhalte) sind. 
  • Es könnten so die Relevanz, die Arbeitsinhalte und Arbeitsweisen von Redaktionen in Zeitungen, Fernsehen etc. vermittelt und beleuchtet werden; und die Chancen aber vor allem auch Risiken, die z.B. die unredigierte, ungeprüfte Veröffentlichung von Inhalten im Internet mit sich bringen. 
  • Gerade bei künstlich generierten Texten bietet sich sogar die Möglichkeit, diese Textredaktion durchzuführen, ohne dass eigene Befindlichkeiten (Stichwort z.B. „kill your darlings“) oder die anderer Autor:innen dabei erschwerend ins Spiel kommen.
  • Und – gewissermaßen als „vorausgehende Konsequenz“ aus diesen Punkten – ein durchdachtes, intelligentes und sinnvolles Prompting, bei dem man diese Textredaktion quasi schon vordenkt und mit ins Prompting einbaut. Dem könnten Analysen verschiedenster Textsorten vorausgehen, in denen man viele Aspekte bespricht: Für wen ist der Text geschrieben (elaborierter/restringierter Sprachcode…)? In welcher Form wird er erscheinen (zum Hören, zum Lesen)? Wo soll er erscheinen? Wie lang soll er sein? …

Alles sehr gewinnbringende Aspekte in Sachen Medienkompetenz und Medienpädagogik, Textkompetenz und Textkritik, Selbstwahrnehmung, Empowerment etc. Letztlich auch in Sachen Berufsorientierung.

Den Chancen die Chance geben: K.I. als Unterrichtsfach

Nur müssen diesen Chancen auch erkannt und ihnen die entsprechenden Räume zur Entfaltung gegeben werden, sprich: diese Arbeitsschritte müssten bewusst und existenziell in die Unterrichtsplanung integriert und dann kommuniziert werden. Sie sollten nicht „unter ferner liefen“ irgendwie noch mitbehandelt werden. Den Chancen die Chance geben.

Natürlich sagen alle Lehrenden, und die Planenden: „Aber dafür ist die Zeit nicht da…!“ In meinen bisherigen Erfahrungen und den Aussagen der Lehrer:innen nach scheint das oft auch zu stimmen. Aber gerade deswegen ginge es ja eben um „K.I. als Unterrichtsfach“, also als eigenständiges, fächerübergreifendes, projekthaft angelegtes Etwas, das man denken und sich ausdenken müsste. Nicht als willkommene (vermeintliche) Abkürzung zum Ergebnis. Zum Beispiel mit den oben genannten Aspekten, und sicherlich noch viel weitergehend.

K.I. als geschärftes Werkzeug

Also, fürs Erste, bei mir: Nicht Teufels-, sondern Werkzeug. Aber wie das so ist mit Werkzeug: Letztlich muss es geschärft sein und bereit liegen. Und müssen die Hände firm sein, die das Werkzeug halten und anwenden. Ebenso das Gehirn, das einen Plan hat und das passende Werkzeug auswählt, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen. 

Zwei linke Hände haben mit einer verrosteten, stumpfen Säge noch selten einen Nagel sinnvoll in die Wand bekommen.

Bildungsfern? Prozessfern!

Nach einem sehr anstrengendem Hörspiel-Workshop in einer 7. Klasse in Berlin und nach vielen intensiven Gesprächen mit der sehr engagierten Lehrerin denke ich so ungefähr Folgendes: vielleicht ist gar nicht die sogenannte Bildungsferne bestimmter Kids das gravierendste Problem; dass sie also zu wenig Kontakt und Umgang mit „Bildung“ und „Kultur“ im allerweitesten und im bildungsbürgerlich definierten Sinne haben, zu wenig Teilhabe am Bildungssystem, zu wenig role models innerhalb und außerhalb der Familie, zu lange bad screen time etc. 

Das ist natürlich problematisch. Aber darüber hinaus scheint mir die viel größere Tragik eher eine Art umfassende „Prozessferne“ zu sein. Die Kids hatten keinerlei für mich erkennbare Erfahrung darin, einen Prozess auch nur im Ansatz selbstbestimmt zu gestalten und bewusst zu erleben. Das meine ich erstmal in Bezug auf unsere konkrete Hörspiel-Produktion (deren Anforderungen wir nach sehr kurzer Zeit, also nach dem ersten Workshop-Tag, schon sehr weit nach unten angepasst hatten).

Aber diese mangelnde Erfahrung und diese Prozessferne waren eigentlich sinnbildhaft auch für den Umgang der Kids mit sich selbst. Ich hatte sehr oft den Eindruck, sie waren permanent irgendwelchen inneren und äußeren Dämonen ausgesetzt: Mitschüler:innen und peer pressure, Elternhaus, Schulorganisation, FOMO, Pubertät… – fremdbestimmt.

Sie hatten kaum Zugriff auf sich selbst, verstanden und erlebten sich nicht als handelnde, gestaltende, problemlösende Wesen. Sie konnten irgendwie nicht „dranbleiben“, haben stattdessen bei jeder sich bietenden und anderen Gelegenheit zum Handy gegriffen und sich wegkatapultiert – aus ihrer eigenen Hörspiel-Produktion, aus der Situation, aber eben auch und vor allem aus sich selbst. Ausweich-Bewegungen die ganze Zeit. Swipe. 

Wahrscheinlich nicht gelernt und erfahren, nicht vorgelebt, angeboten bekommen. Nicht als wichtiges – wichtigstes – Werkzeug vermittelt bekommen.

Und Schule verstärkt meiner Beobachtung nach im ungünstigsten Fall gerne mal die Unselbstständigkeit, die Fremdbestimmtheit, das Funktionieren. Das Denken und Handeln in formatierten Blöcken, in Fächern, in Noten. Anstatt in Prozessen und Projekten. Ein Teufelskreis.

Wie es ein Kreis nunmal so an sich hat: kein Anfang, kein Ende. Aber man könnte auch sagen: dann ist überall Anfang, man kann überall anfangen. Zum Beispiel eben mit kreativ-künstlerischen Projekten und selbststrukturiertem Arbeiten, mit denen die Kids „Prozessnähe“ entwickeln und damit eben auch einen Zugriff auf sich selbst, Selbstermächtigung; intrinsisch motivierte, nachhaltige Erfolgserlebnisse haben. Und davon noch mehr wollen. Medienpädagogik der erweiterten Art. Boomerang statt Katapult gewissermaßen. Ein scharfes Schwert gegen die Dämonen.

Denn: Alle Schüler:innen, mit denen ich für einen kurzen Moment eins-zu-eins arbeiten konnte, sind da zu ihrer großen Form aufgelaufen, haben gezeigt, dass viel mehr in ihnen steckt als sie es in der Klasse, in der Schule, im Unterricht zeigen können  – und wollen. Haben in sich ganz neue Fähigkeiten und Fertigkeiten entdeckt/erweckt. Rückmeldung der Lehrerin: haben sogar auf dem Weg zum Schulhof darüber diskutiert, wie man diese und jene Stelle in ihrem Hörspiel noch verbessern, perfektionieren könnte. Lerninhalte diffundieren aus dem Klassenzimmer in die Welt… Yesss!

Btw: Alle Hörspiele sind fertig geworden. Und gut.

Unerwartete Wendung im Hörspiel-Workshop…

Heute zweistündiger Impuls-Workshop in Sachen Hörspiel und Podcast in der Außerschulischen Jugendarbeit, veranstaltet von der LAG Pop in Kooperation mit dem SFBB im Jugendkulturzentrum Königstadt. Geplant hatte ich eigentlich ein HandsOn mit Audacity, da ich aber ausschließlich einschlägig erfahrene Praktiker im Workshop hatte, haben wir ihn spontan zu einem „moderierten Erfahrungsaustausch“ über Meta-Aspekte jenseits der kreativ-künstlerischen Praxis und einem umfassenden Plaudern aus meinem Nähkästchen umfunktioniert. Themen u.a.: konkrete didaktische, pädagogische und methodische Strategien in der Hörspiel-Arbeit, das Selbstverständnis von Anleiter:innen im kreativ-künstlerischen Prozess, Pros und Cons K.I., Authentizität & Autorität, Prozess & Produkt. 

Das fand ich alles sehr spannend und gewinnbringend. In den handelsüblichen Fortbildungen ist dafür oft keine Zeit und nach mehrtägiger kreativ-künstlerischer Praxis oft auch erstmal keine Kraft mehr da. Ich wünschte mir so eine Art Coda (oder Interlude?), in der man die Erkenntnisse und Visionen aus der Praxis reflektiert und dann in einer zweiten Praxisphase in ein neues Hörspiel miteinbauen kann…

Bild: Frontansicht Jugendkulturzentrum Königstadt Berlin (Homepage)

Fachtag: Formelle und informelle Lernpraktiken & digitale Medien in der musikorientierten Jugendarbeit

Innerhalb dieses Fachtags der LKJ-Berlin (Mo, 02. Juni 2025) leite ich einen Impuls-Workshop zum Thema Podcasts / Hörspiele selbermachen: Storys erfinden und erzählen, Meinungen und Geschichten in einem eigenen Podcast mit anderen teilen, Musik einbinden und veröffentlichen. Eine Einführung in die Produktion von Podcasts/Hörspielen mit Kindern und Jugendlichen. Also mein angestammtes Fachgebiet. Weitere Infos hier.

Auf die eine oder andere Art werde ich dort sicherlich auch mein Hörspiel-Buch erwähnen 😉

Anmeldungen hier.